Nicht nur der Alltag von Erwachsenen, sondern auch der von Kindern und Jugendlichen wird immer digitaler. Im privaten und schulischen Bereich spielen digitale Medien eine immer maßgeblichere Rolle. Nicht zuletzt hat auch die Corona-Pandemie ihren Teil dazu beigetragen, dass sich Heranwachsende über soziale Medien wie WhatsApp oder Instagram austauschen. Umso wichtiger ist es, junge Menschen optimal auf die Herausforderungen einer "digitalen Gesellschaft" vorzubereiten.

Medienkompetenz fördern, das bedeutet mehr als nur technisches Know-how im Umgang mit Smartphone, Laptop und Co. Es geht vielmehr um die Reflektion der eigenen Mediennutzung und um eine Stärkung der Persönlichkeit, so dass sie möglichst resilient mit problematischen Inhalten umgehen kann.

Was tut mir gut und was nicht? Wie distanziere ich mich von belastenden digitalen Inhalten? Hierzu Wissen zu vermitteln und bei allen Beteiligten ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dient dem Schutz der psychischen und körperlichen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Mit dem " TK-MedienUniversum ", einem Medienkompetenzportal für Lehrkräfte und dem Präventionsprogramm "Mobbingfreie Schule" seien beispielhaft zwei Programme genannt, mit dem sich die Techniker Krankenkasse (TK) diesem gesetzlichen Auftrag widmet.

Im nachfolgenden Interview sprachen wir mit Sabine Maur, der Präsidentin der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz (LPK) darüber, wie man die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen stärken kann.

TK: Frau Maur, digitale Medien bieten zahlreiche Chancen, um sich Wissen anzueignen, mit Menschen in Kontakt zu treten und sich zu vernetzen. Gleichwohl werden Heranwachsende mit einer Vielzahl idealisierter Körperbilder und Lebensentwürfen konfrontiert, die selbst für Erwachsene eine Herausforderung darstellen. Haben Sie als Kinder- und Jugendpsychotherapeutin den Eindruck, dass Sie mit psychischen Störungen konfrontiert sind, die auf eine problematische Internetnutzung zurückzuführen sind?

Sabine Maur: Ja, es gibt im ICD-11 die neue Diagnose der "Computerspielstörung". Hier geht es um den Kontrollverlust über das eigene Spielverhalten, eine Bevorzugung des Computerspielens gegenüber anderen Interessen und Aktivitäten sowie das Fortsetzen des Spielens trotz negativer Folgen für die Betroffenen. Wenn das alles so ausgeprägt ist, dass wichtige Funktionsbereiche (z. B. Schule, Familie, persönliche Beziehungen) beeinträchtigt sind, sprechen wir von einer Störung. 

Sabine Maur

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Präsidentin der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz 

Wir sehen aber auch indirekte Einflüsse auf Kinder und Jugendliche durch die sozialen Medien, z. B. die Imitation von Ticstörungen durch Tiktok sowie eine extreme Normsetzung, was angebliche Schönheitsideale angeht. 

Besonders belastend sind natürlich auch das Verbreiten von intimen Fotos und Videos von Jugendlichen gegen deren Willen sowie die gezielte Ansprache von Kindern und Jugendlichen im Internet durch erwachsene Missbrauchstäter.

TK: Aus Ihrer psychotherapeutischen Praxis: Was könnten Anzeichen eines riskanten Nutzungsverhaltens sein?

Häufig kommt es auch zur Vernachlässigung schulischer Pflichten und sozialer Kontakte. Sabine Maur

Maur: In der Regel kommen die Jugendlichen eher selten von selbst zu uns, sondern die Eltern suchen Hilfe, weil die Internetnutzung des Jugendlichen so exzessiv geworden ist, dass schwere familiären Konflikte entstehen. Häufig kommt es auch zur Vernachlässigung schulischer Pflichten und sozialer Kontakte. Die familiären Konflikte rühren meist daher, dass Jugendliche unglaublich viel Zeit mit digitalen Geräten und Medien verbringen, so dass andere wichtige Dinge nicht mehr ausreichend berücksichtigt werden. Eine zeitliche Eingrenzung der Mediennutzung durch die Eltern ist so meist nicht mehr möglich. 

TK: Welche therapeutischen Ansätze können Sie beispielhaft nennen, um eine problematische Nutzung wieder in den "Normbereich" zu bringen?

Maur: Hier besteht die Herausforderung, dass zunächst eine Einsicht erzeugt und die Bereitschaft zur Änderung des Verhaltens aufgebaut werden muss. Außerdem ist eine völlige Abstinenz, wie wir es als Ziel z. B. bei Drogen und Alkohol kennen, nicht möglich, weil das Internet und digitale Medien Teil des Alltags sind, auch beispielsweise in der Schule genutzt werden müssen. Deshalb zielt die Therapie darauf ab, Strategien aufzubauen: Wie kann man das problematische Verhalten zeitlich eingrenzen? Welche alternativen Beschäftigungen gibt es, die mir Spaß machen? Wie kann ich lernen, meine Gefühle anders zu regulieren als über Zocken? Welche Situationen sind besonders problematisch und führen zu einem Rückfall?

TK: Wie können Kinder und Jugendliche dabei unterstützt werden, sich von belastenden Inhalten zu distanzieren und sich nicht zu sehr mit ihnen zu identifizieren, gerade in Bezug zu Freizeitaktivitäten?

Maur: Es ist unglaublich wichtig, dass Kinder frühzeitig, also bereits im Grundschulalter, Interessen und Hobbies entwickeln und verfolgen, die nicht ausschließlich computerbasiert sind. Das ist die beste Prävention, denn wir sehen häufig, dass Jugendliche gar keine interessanten Alternativen kennen zur Internetnutzung. Auch gute soziale Beziehungen sind wichtig. Besonders sozial isolierte oder einsame Jugendliche verbringen sehr viel Zeit online. Generell ist aber wichtig, dass Eltern überhaupt eine Idee davon haben, womit ihre Kids online ihre Zeit verbringen, und auch versuchen, über die Inhalte ins Gespräch zu kommen, Interesse daran zu zeigen, aber diese auch kritisch zu diskutieren.

TK: Wie kann man bei Kindern und Jugendlichen eine gewinnbringende, altersadäquate Nutzung fördern? 

Es ist wichtig, auf altersgemäße Inhalte und Bildschirmzeiten zu achten. Sabine Maur

Maur: Entscheidend ist hier natürlich, wie mit digitalen Medien von klein auf umgegangen wird. Es ist wichtig, auf altersgemäße Inhalte und Bildschirmzeiten zu achten. Für viele Kinder geht es nicht ohne Familienregeln und technische Schutzfunktionen, was die Internetnutzung angeht. Diese Regeln gelten dann aber ebenso sehr - wenn auch angepasst - für die Erwachsenen in der Familie. Gleichzeitig ist es wichtig, dass Eltern echtes Interesse zeigen an der digitalen Welt, in der sich ihre Kinder bewegen. Zum einen, um auch die positiven Aspekte kennenzulernen, zum anderen aber auch, um problematische und belastende Inhalte besprechen zu können.

TK: Gibt es Empfehlungen für die Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen, die Sie zur Orientierung - etwa für Eltern und Lehrer - an die Hand geben können? 

Maur: Es gibt inzwischen viele hilfreiche Empfehlungen, so z. B. www.klicksafe.de mit sehr vielen Materialien für Jugendliche, Eltern und Lehrkräfte, oder den "Elternratgeber Internet" der Bundespsychotherapeutenkammer, der online unter www.elternratgeber-internet.de zu finden ist. Außerdem stellt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung unter www.bzga.de zahlreiche Informationen zur Verfügung.

Zur Person

Nach dem Studium der Psychologie in Würzburg und Portsmouth (UK) erhielt Sabine Maur 2008 Ihre Approbation zur Psychologischen Psychotherapeutin. 2009 schloss sie die Zusatzqualifikation der Kinder- und Jugendlichen Psychotherapie ab und ist seither in eigener Praxis tätig. 2018 wurde Maur zur Präsidentin der Landespsychotherapeutenkammer (LPK) Rheinland-Pfalz gewählt, seit 2023 ist sie darüber hinaus Vize-Präsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer.