TK: Herr Dr. Gaß, vor wenigen Wochen bezeichneten Sie selbst die finanzielle Situation der Krankenhäuser als "dramatisch". Neben den Finanznöten vieler Kliniken, stellt auch der zunehmende Fachkräftemangel bei einer gleichzeitig überalternden Gesellschaft eine große Herausforderung für die Krankenhäuser dar. Daher besteht zwar Konsens, dass eine Krankenhausreform notwendig ist, nur ihre Ausgestaltung wird durchaus kontrovers diskutiert. Welche Ansätze des aktuell bekannten Reformentwurfs bewerten Sie positiv, welche sehen Sie skeptisch? 

Dr. Gerald Gaß: Positiv sehen wir vor allem zwei Elemente. Mit der Vorhaltefinanzierung soll die Reform endlich eine langjährige Forderung der DKG einführen. Vorbehaltlich der konkreten Umsetzung wird das vor allem den Kliniken in ländlichen Regionen mit geringeren Fallzahlen helfen und so Versorgung dort sichern, wo der ambulante Sektor wegbricht und Krankenhäuser und deren Notaufnahmen schon heute vielfach als Ersatz für die Arztpraxis dienen.

Dr. Gerald Gaß

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Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft

In diesem Zusammenhang begrüßen wir auch die Pläne, mehr ambulante Behandlungen an Krankenhäusern zu ermöglichen. Das schafft einerseits vielerorts überhaupt wieder wohnortnahe ambulante Versorgung, auf der anderen Seite können Patientinnen und Patienten hochwertig und sicher ambulant behandelt werden, da ihnen im direkten Umfeld stationäre Kapazitäten und umfangreiches Fachwissen zur Verfügung stehen. Und wenn Leistungen, die bisher nur stationär erbracht werden durften, nun auch ambulant möglich werden, ist das auch im Sinne der Beitragszahler. 

Darüber hinaus ist aber sehr viel an dieser Reform noch unklar. Das betrifft vor allem die wichtige Finanzierungsfrage. Ohne einen Transformationsfonds zur Finanzierung der notwendigen Investitionen wird die Reform scheitern. Die angekündigte tiefgreifende Strukturreform wird es nicht zum Nulltarif geben.

Sehr skeptisch stehen wir Lauterbachs Plänen gegenüber, Krankenhäuser in Level einzuteilen - obwohl diese Einteilung nach den Verhandlungen mit den Ländern eigentlich schon vom Tisch war. Das simplifizierte System, das Krankenhäuser letztendlich wie Hotels in Sternekategorien einteilt, wird den tatsächlichen Leistungen der Kliniken nicht gerecht. Kleine, aber auf bestimmte Behandlungen spezialisierte Krankenhäuser fallen dadurch in der öffentlichen Wahrnehmung nach unten, obwohl sie in ihrem Spezialgebiet nachweisbar überragende Qualität leisten. Das schadet in letzter Konsequenz den Patienten.

TK: Recht unstreitig wird eine Umstrukturierung der Krankenhauslandschaft nicht ohne Transformationskosten zu bewältigen sein. Können Sie darstellen, wodurch diese entstehen und wie diese, Ihres Erachtens nach, finanziert werden sollten?

Dr. Gaß: Ziel der Politik ist es, die Krankenhausstrukturen zu ändern. Komplexere Behandlungen sollen noch stärker konzentriert, kleinere Kliniken dort wo es möglich ist zu größeren Einheiten fusioniert und zum Teil in regionale Gesundheitszentren umgewandelt werden. Der Umbau der Krankenhauslandschaft ist aber nicht ohne Kosten zu haben, sondern löst zunächst einen immensen Investitionsbedarf aus. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ein voll ausgestattetes Klinikum mittlerer Größe mit 500 Betten kostet rund eine halbe Milliarde Euro. Wenn Sie in ganz Deutschland 50 solcher Standorte neu bauen sind Sie schon bei 25 Milliarden Euro notwendiger Investitionen.

Gleiches gilt im Übrigen für die auch von uns unterstützte Ambulantisierung von bislang stationär erbrachten Krankenhausleistungen. Auch dieser Umbau macht in einem ersten Schritt beträchtliche Investitionen in die Strukturen der Krankenhäuser notwendig. Karl Lauterbach hat es versäumt, zu Beginn seiner angekündigten Revolution in der Bundesregierung das dafür notwendige Geld zu mobilisieren. Das war ein schweres politisches Versäumnis. Ich fürchte, jetzt, wo der Regierung auf einmal 60 Milliarden Euro fehlen, wird er keine Chance mehr haben, in dieser Legislaturperiode das Geld noch aufzutreiben.

TK: Um für die Kliniken kurzfristig ausreichende Liquidität sicherzustellen, wandte man sich an den Bund, der aber keine weiteren Mittel bereitstellen kann oder will. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach verwies auf die Bundesländer - diese seien in den letzten Jahren ihrer Verantwortung der Investitionskostenfinanzierung nicht genügend nachgekommen. Wo sehen Sie den "Schwarzen Peter"?

Dr. Gaß: Es geht nicht darum den "Schwarzen Peter" zu verteilen. Fakt ist, die Vergütung, die wir aktuell von den Krankenkassen für die Behandlung der Patienten erhalten, decken unsere Personal- und Sachkosten nicht. Die Kliniken müssen aktuell jeden Monat 500 Millionen Euro an Defizitausgleich leisten. Mein Vorwurf richtet sich dabei nicht an die Krankenkassen, denn unser Finanzierungssystem ist gesetzlich gedeckelt. Die Politik muss den Preisdeckel anheben und für die Refinanzierung der inflationsbedingten Kosten sorgen.

Richtig ist aber auch, dass sich die Länder über zwei Jahrzehnte zu Lasten der Kliniken und der Krankenkassen einen schlanken Fuß gemacht haben. Sie haben ihre Pflicht zur Finanzierung der Investitionen schlicht ignoriert. Mittlerweile fehlen da jährlich mindestens vier Milliarden Euro. Die Krankenhäuser fahren deshalb seit Jahren auf Verschleiß. Die Lage ist schwieriger als bei der Deutschen Bahn.

TK: Wie stehen Sie sektorenübergreifenden Konzepten gegenüber, um drohende Versorgungslücken in der Fläche zu vermeiden?

Dr. Gaß: Wir wollen ganz klar die Krankenhäuser für mehr ambulante Behandlungen öffnen und viele unsinnig gewordene Grenzen zwischen den Sektoren überwinden. In der Realität vor allem in strukturschwächeren ländlichen Gebieten ist das Krankenhaus und vor allem seine Notaufnahme heute ohnehin schon in vielen Fällen der Ort, der die Arztpraxis ersetzt, weil diese Termine nur mit monatelanger Wartezeit vergibt, zu kurze Sprechzeiten hat oder gar nicht mehr existiert. Vielerorts haben Sie die absurde Situation, dass Menschen weite Wege und extrem lange Wartezeiten in Kauf nehmen müssen, um einen Facharzttermin zu erhalten. Gleichzeitig stehen vielleicht in ihrem örtlichen Krankenhaus sowohl Fachärzte als auch Geräte bereit, die aber bislang nur für stationäre Patientinnen und Patienten genutzt werden können.

Das sind Hürden aus einer vergangenen Zeit, in der nicht überfüllte Praxen und wegbrechende niedergelassene Versorgung das Problem waren, sondern Angst um Konkurrenz aus dem anderen Sektor. Viele Menschen wissen gar nicht, dass es diese Regelungen gibt. Wir haben daher schon vor vielen Jahren vorgeschlagen, sektorenübergreifende Gesundheitszentren einzurichten, in denen die Menschen umfangreiche medizinische Hilfe finden. Daher begrüßen wir auch alle Reformpläne, die in diese Richtung gehen. 

TK: Sie kennen durch Ihre früheren Tätigkeiten die Krankenhausstrukturen in Rheinland-Pfalz sehr gut. Welche Veränderungen erwarten Sie durch die Reform für die Krankenhausszene in Ihrem Heimatbundesland?

Dr. Gaß: Auch in Rheinland-Pfalz werden sich die Krankenhausstrukturen ändern müssen. Die Demographie zwingt uns zu Anpassungen. Der Mangel an Fachkräften wird nochmals deutlich zunehmen. Wer heute erklärt, dass alle Krankenhausstandorte auch in Zukunft Bestand haben, ignoriert diese Realitäten. Es darf aber keinen kalten Strukturwandel über Insolvenzen geben, sondern auf den regionalen Versorgungsbedarf abgestimmte Anpassungen. Wir müssen die Bevölkerung und die Beschäftigten in den Kliniken mitnehmen.

Veränderungen sind eine Chance für verlässliche Versorgung in der Zukunft. Im Moment werden Veränderungen aber überwiegend als Bedrohung und Verlust wahrgenommen, das zeigt auch die aktuelle Debatte um die Krankenhausversorgung im Westerwald. In zehn Jahren werden wir definitiv weniger Krankenhausstandorte in Rheinland-Pfalz haben. Die Politik, die Krankenkassen und auch die Krankenhausträger tragen die Verantwortung dafür diesen Anpassungsprozess zu gestalten und nicht einfach nur zu ertragen.

Zur Person:

Dr. Gerald Gaß ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft, dem Bundesverband der Krankenhausträger. Der Diplom-Volkswirt und Diplom-Soziologe leitete von 2008 bis März 2021 als Geschäftsführer das Landeskrankenhaus Rheinland-Pfalz mit Sitz in Andernach, das mit insgesamt 17 Standorten und 4.000 Beschäftigten über rund 2.200 Betten verfügt. Zuvor war er Abteilungsleiter im Bereich "Gesundheit" des rheinland-pfälzischen Sozialministeriums. Von 2018 bis Ende 2020 war Gerald Gaß Präsident der DKG, bevor er zum 1. April 2021 deren Vorstandsvorsitzender wurde.